ungeliebte Schattenseiten

Ein Yogi sollte eigentlich ein ausgeglichener, gutmütiger Mensch sein. Aber was ist, wenn unsere Schattenseiten ans Licht drängen. Wie sollte man damit umgehen, wenn man in stressigen Zeiten plötzlich Aggressionen spürt, von denen man rein rational betrachtet weiß, dass sie nicht richtig und unseren Mitmenschen gegenüber nicht fair sind? Gibt es einen Schalter mit den man diese hässlichen Gefühle einfach wieder ausknipsen und zur Gelassenheit zurückkehren kann? Die Antwort ist leider nein. Unser Schatten ist ebenso ein Teil von uns wie unsere lichtvolle Seite. Wir müssen uns daher bewusst mit ihm auseinandersetzen, wenn wir die tiefsitzenden, negativen Samskaras auflösen oder transformieren möchten.

Schattenseiten sind die Seiten in uns, die wir am Liebsten leugnen würden. Deswegen verdrängen wir sie auch oft, was dazu führt, dass wir sie bewusst nicht wahrnehmen. Der Schatten ist aber weiterhin da und wirkt aus dem Unterbewussten über unsere Gefühle und Gedanken auf uns ein. Oft projizieren wir dann die Verhaltensweisen, die wir an uns selber nicht sehen wollen, auf unsere Mitmenschen. Der Kollege ist dann in unseren Augen vielleicht viel zu selbstgerecht oder rücksichtslos gegenüber den anderen Teammitgliedern. Der Partner ist kein guter Zuhörer, wenn wir mit ihm über unsere Wünsche und Ängste sprechen wollen. Die beste Freundin interessiert sich eigentlich nur für ihre eigenen Anliegen. Und so weiter und so fort…

Horchen wir in solchen Momenten in uns hinein und stellen dann fest, dass wir das Handeln, was wir an unserem Gegenüber wahrnehmen auch von uns selber kennen, sollten wir das Verhaltensmuster bewusst hinterfragen und dafür Verantwortung übernehmen. In der Yogatraditon und auch in der Psychologie nennt man diese Strategie „Schattenarbeit“. Sobald wir unseren Schatten erkannt und akzeptiert haben, können wir damit beginnen ihn zu integrieren und zu verändern. Wenn wir uns mit unserem Schatten auseinandersetzen, erkennen wir auch, dass der Mensch, der konstruktive Kritik an uns äußert, uns eigentlich nichts Böses will. Viel wahrscheinlicher ist es, dass uns unser innerer perfektionistisch ausgerichteter Kritiker das Leben schwer macht. Darüber hinaus werden sich auch viele negative Gefühle, die wir gegen uns selbst hegen, auflösen können. Gefühle von Minderwertigkeit oder fehlender Authentizität verschwinden oft durch aktive Schattenarbeit.

Stellen wir uns unseren Schatten, können wir an ihnen arbeiten und finden zu innerer Ausgeglichenheit zurück. Unseren Mitmenschen gegenüber können wir uns toleranter zeigen und wir können der Mensch sein, der wir tatsächlich sind ohne uns in bestimmten Situationen verstellen zu müssen. Zudem laufen wir nicht mehr Gefahr, dass unsere ethischen Grundsätze von unbewussten Impulsen oder emotional aufgeladenen Projektionen unterlaufen werden.

Es lohnt sich also, wenn wir uns ernsthaft mit der Schattenarbeit auseinandersetzen und den Schmerz, den diese Arbeit gelegentlich auslöst auf uns nehmen. Denn wenn wir uns bewusst mit unseren Schatten auseinandersetzen, gehen wir schließlich befreit und gelöst aus dem Prozess raus. Zudem bieten uns unsere Schatten ein großes Potenzial für kreatives und spirituelles Wachstum. Befreien wir die im Schatten gebundene Energie, können wir sie für positive Dinge nutzen. Wenn wir zum Beispiel feststellen, dass dieses negative Gefühl, das wir haben, wenn unsere Freundin uns davon erzählt, wie viel Erfolg sie mit Ihrem neu gegründeten Yogastudio hat, eigentlich nur daher kommt, weil unser eigenes Herzensprojekt schon über eine längere Zeit brach liegt, können wir uns dazu motivieren das Projekt endlich wieder voranzutreiben.

Unterm Strich kann man also sagen, dass selbst die besten Yogis ihre Schattenseiten haben. Und das ist auch okay so. Einen Schalter, den man einfach umlegen kann, um sich von seinen negativen Seiten zu befreien, gibt es nicht. Aber wir können achtsam sein und ein Licht auf unsere Schatten werfen, um sie für unseren persönlichen Weg bestmöglich zu nutzen.

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